Der folgende Beitrag dient der Aufklärung über die rechtlichen Konsequenzen und Pflichten, die sich für die Geschäftsführung ergeben, wenn die Gesellschaft einen Insolvenztatbestand erfüllt. Wir bitten Sie die nachfolgenden Ausführungen aufmerksam durchzulesen und sich allenfalls durch einen Rechtsanwalt weiterführend beraten zu lassen.
1. Insolvenzrechtliche Bestimmungen & Insolvenztatbestände
Nach der Insolvenzordnung (IO) führt das Vorliegen eines Insolvenztatbestandes zur Verpflichtung, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu beantragen (Insolvenzantrag). Diese Verpflichtung trifft sowohl Einzelunternehmer, als auch vertretungsbefugte Organe von Kapital- und Personengesellschaften.
Die IO sieht zwei verschiedene Insolvenztatbestände vor:
Zahlungsunfähigkeit:
Bei der Zahlungsunfähigkeit handelt es sich um einen rechtsformunabhängigen Insolvenztatbestand. Nach Rechtsprechung und Lehre liegt Zahlungsunfähigkeit iSd § 66 IO vor, wenn der Schuldner mangels bereiter Zahlungsmittel nicht in der Lage ist, seine fälligen Schulden zu bezahlen und er sich die erforderlichen Zahlungsmittel voraussichtlich auch nicht alsbald verschaffen kann. Erfasst sind davon grundsätzlich alle fälligen Schulden und nicht nur jene, die bereits von den Gläubigern eingetrieben werden. Abzugrenzen von der Zahlungsunfähigkeit ist die Zahlungsstockung, die nicht zu einem Insolvenzeröffnungsgrund führt. Von einer bloßen Zahlungsstockung kann laut Rechtsprechung des OGH ausgegangen werden, wenn entweder laut Stichtagsbetrachtung höchstens 5 % aller fälligen Schulden nicht bezahlt werden können oder – bei Überschreiten der 5 % – das baldige (Wieder-)Erreichen der vollen Zahlungsfähigkeit mit einem Finanzplan dokumentiert werden kann. Sollten mehr als 5% aller fälligen Schulden nicht bezahlt werden können, bedarf die Beurteilung, ob ein Insolvenztatbestand vorliegt, einer Einzelfallprüfung – wir bitten diesfalls um Rücksprache mit Ihrem Rechtsanwalt. Die Frist zur Behebung der Zahlungsstockung darf im Durchschnittsfall drei Monate nicht übersteigen.
Indizien für das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit können sein:
- Zahlungseinstellung
- zahlreiche anhängige Exekutionsverfahren
- Nichtleistung nach Verurteilung in mehreren Verfahren, nach fruchtlosen Mahnungen, ergebnislosen Exekutionen
- Nichteinhaltung von Ratenzahlungsvereinbarungen
- Fälligstellung der Kreditlinien durch die Hausbank
- Tilgung immer nur der dringlichsten Verbindlichkeiten
- Nichtzahlung von Löhnen und Gehältern
- Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, Finanzamtsverbindlichkeiten
- Flucht des Schuldners
- dauernde Unerreichbarkeit der Geschäftsführung
Überschuldung:
Die insolvenzrechtliche Überschuldung iSd § 67 IO ist im Gegensatz zur Zahlungsunfähigkeit nur bei juristischen Personen, eingetragenen Personengesellschaften, bei denen kein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, oder bei Verlassenschaften möglich. Die insolvenzrechtliche Überschuldung liegt vor, wenn der Überschuldungsstatus (Vergleich von Aktiva und Passiva zu Liquidationswerten (dh inkl. stiller Reserven und stillen Lasten)) negativ ist und gleichzeitig keine positive Fortbestehensprognose vorliegt. Details zur insolvenzrechtlichen Überschuldung sind nachfolgend beschrieben.
1.1. Die insolvenzrechtliche Überschuldung im Detail
1.1.1. Bedeutung des negativen Eigenkapitals
Weist der Jahresabschluss von Kapitalgesellschaften (GmbH, FlexCo, AG) und Personengesellschaften, die keine natürliche Person als unbeschränkt haftenden Gesellschafter haben (insb GmbH & Co KG), ein nach den Vorschriften des UGB ermitteltes negatives Eigenkapital auf, liegt eine sog. buchmäßige Überschuldung vor. In diesem Fall ist gemäß § 225 Abs 1 UGB das Eigenkapital in der Bilanz als „negatives Eigenkapital“ zu bezeichnen. Ein negatives Eigenkapital (buchmäßige Überschulung) bedeutet, dass die Verluste das vorhandene Kapital aufgebraucht haben. Dies stellt noch nicht automatisch eine insolvenzrechtliche Überschuldung iSd § 67 IO dar, da in der Bilanz nach UGB etwaige stille Reserven nicht aufgezeigt werden oder auch eine positive Zukunftsprognose vorliegen könnte. Im Falle eines negativen Eigenkapitals muss im Anhang zum Jahresabschluss jedenfalls erläutert werden, ob eine insolvenzrechtliche Überschuldung vorliegt.
1.1.2. Maßnahmen zur Vermeidung einer buchmäßigen Überschuldung
Unter bestimmten Umständen kann ein negatives Eigenkapital durch Maßnahmen wie
- Kapitalerhöhung oder Gesellschafterzuschüsse,
- Forderungsverzicht der Gesellschafter,
- Debt-to-Equity-Swap,
- Nutzung von Bewertungswahlrechten,
vermieden werden. Wir beraten Sie hierzu gerne individuell.
1.1.3. Prüfung der insolvenzrechtlichen Überschuldung
Kann ein negatives Eigenkapital nicht vermieden werden, ist die Geschäftsführung dazu verpflichtet, zu überprüfen, ob eine insolvenzrechtliche Überschuldung vorliegt.
1.Eine solche insolvenzrechtliche Überschuldung iSd § 67 IO ist gegeben, wennbei einer angenommenen Liquidation des Unternehmens die für den Verkauf der Vermögenswerte erzielten Erlöse nicht zur Deckung der Schulden ausreichen (negativer Überschuldungsstatus).
und
2. eine auf Grundlage einer sorgfältigen und vorsichtigen Analyse der Zukunftsaussichten erstellte Fortbestehensprognose ergibt, dass nachhaltig keine Überschüsse zur Beseitigung des vorhandenen Schuldenüberhanges erzielt werden können (Analyse, ob das Unternehmen seine Verpflichtungen künftig mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfüllen kann).
Da diese beiden Voraussetzungen kumulativ gegeben sein müssen, erübrigt sich eine weitere Überprüfung der Überschuldung in insolvenzrechtlicher Hinsicht, wenn entweder die noch verfügbaren Vermögensgegenstände, unter Beilegung von Liquidationswerten im Zeitpunkt der Aufstellung des Jahresabschlusses, ein ausreichendes Schuldendeckungspotential (positiver Überschuldungsstatus) haben, oder eine nachvollziehbare positive Fortbestehensprognose abgegeben werden kann. Wenn aus der Bilanz hervor geht, dass die Gesellschaft keine relevanten Vermögensgegenstände aufweist, die unter Beilegung von Liquidationswerten im Zeitpunkt der Aufstellung des Jahresabschlusses ein ausreichendes Schuldendeckungspotential haben könnten, kann eine insolvenzrechtliche rechnerische Überschuldung nur noch mit einer positiven Fortbestehensprognose, harte Patronatserklärung, qualifizierte Rangrücktrittserklärung oder einem Gesellschafterzuschuss (auch nach dem Bilanzstichtag, aber vor Bilanzaufstellung) vermieden werden.
1.1.4. Maßnahmen zur Vermeidung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung
Bei Vorliegen eines negativen Eigenkapitals zum Bilanzstichtag ist dringend zu empfehlen, die notwendige Prüfung, ob eine Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinn vorliegt, unverzüglich in Angriff zu nehmen.
Ermittlung der stillen Reserven und Erstellung einer Liquidationsbilanz:
Die Liquidationsbilanz ist anhand der Liquidationswerte (Aufdeckung der stillen Reserven sowie der stillen Lasten) zu erstellen und kann verdeutlichen, dass bei einem Verkauf der Vermögensgegenstände ein ausreichendes Schuldendeckungspotential (positiver Überschuldungsstatus) vorliegt und aus diesem Grund keine insolvenzrechtliche Überschuldung vorliegt.
Fortbestehensprognose:
Eine Fortbestehensprognose entspricht einer dynamischen Betrachtung der Erhaltung der Zahlungsfähigkeit (Primärprognose) und der Wiedererlangung der Ertragsfähigkeit (Sekundärprognose). Um hinreichend dokumentiert und nachvollziehbar zu sein, muss sie nach bestimmten Grundsätzen aufgestellt werden und einen gewissen Mindestinhalt aufweisen (siehe auch WKO Leitfaden Fortbestehensprognose). Sollte eine Fortbestehensprognose erforderlich sein, bitten wir Sie nach Fertigstellung der Fortbestehensprognose uns das Dokument zu übermitteln. Gerne können wir Ihnen den Kontakt zu einem Experten für Fortbestehensprognosen herstellen.
Qualifizierte Rangrücktrittserklärung/harte Patronatserklärung:
Alternativ kann auch eine qualifizierte Rangrücktrittserklärung (= Rückstehungserklärung) Abhilfe schaffen. Eine Rangrücktrittserklärung ist eine Vereinbarung zwischen einem Gläubiger und einem Schuldner, bei der der Gläubiger erklärt, dass er Befriedigung erst nach Beseitigung eines negativen Eigenkapitals oder im Fall der Liquidation nach Befriedigung aller Gläubiger begehrt und dass wegen dieser Verbindlichkeiten kein Insolvenzverfahren eröffnet zu werden braucht. Dies bedeutet, dass der Gläubiger im Falle einer Insolvenz oder Liquidation des Schuldners erst befriedigt wird, nachdem alle anderen Gläubiger ihre Forderungen erhalten haben. Durch eine qualifizierte Rangrücktrittserklärung wird zwar das negative Eigenkapital nicht beseitigt, jedoch können die betreffenden Verbindlichkeiten im Überschuldungsstatus außer Ansatz blieben.
Auch die Abgabe einer harten Patronatserklärung ist eine Möglichkeit zur Vermeidung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung. Hierbei sagt ein Patron verbindlich und unwiderruflich zu, bis zur Beseitigung des negativen Eigenkapitals, den Schuldner (die insolvenzgefährdete Gesellschaft) finanziell so auszustatten, dass dieser stets in der Lage ist, seinen gegenwärtigen und zukünftigen Verbindlichkeiten unter Einschluss auch etwaiger Verzugszinsen nachzukommen, im Falle der Liquidation die Befriedigung erst nach Befriedigung aller Gläubiger zu begehren und wegen dieser Verbindlichkeit kein Insolvenzverfahren zu eröffnen. Wichtig ist hierbei, dass der Patron ausreichende Bonität aufweist.
Gesellschafterzuschuss zwischen Bilanzstichtag und Bilanzerstellung:
Wird ein (ausreichend hoher) Gesellschafterzuschuss zwischen Bilanzstichtag und Bilanzerstellung geleistet, führt dieser zwar nicht mehr zu einem positiven Eigenkapital zum Bilanzstichtag, ist allerdings dennoch für die Überschuldungsprüfung zu berücksichtigen.
1.2. Rechtsfolgen bei Vorliegen eines Insolvenztatbestandes
(= insolvenzrechtliche Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit)
Liegt ein Insolvenztatbestand vor, sind die organschaftlichen Vertreter (insbesondere der Geschäftsführer einer GmbH, der Vorstand einer AG, unbeschränkt haftende, vertretungsbefugte Gesellschafter von Personengesellschaften) verpflichtet, ohne schuldhaftes Zögern, in Ausnahmefällen spätestens aber 60 Tage nach dem Eintritt des Insolvenztatbestandes (Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit), einen Insolvenzantrag zu stellen. Widrigenfalls haften die Geschäftsführer persönlich wegen schuldhafter Insolvenzverschleppung. Wir weisen insbesondere auf die Haftungsbestimmungen nach dem Gesellschaftsrecht (§ 25 GmbHG, § 84 Abs 3 AktG), dem Abgabenrecht (§§ 9, 80 BAO, § 6a KommStG), dem Sozialversicherungsrecht (§ 67 Abs 10 ASVG) und dem Insolvenzrecht (§ 69 Abs 5 IO) hin. Daneben ist – bei mittelgroßen Gesellschaften – auch eine Haftung nach dem URG bis zu EUR 100.000 je Geschäftsführer möglich, wenn trotz entsprechender Warnsignale kein Reorganisationsverfahren eingeleitet wird.
Die schuldhafte Verschleppung eines zu stellenden Insolvenzantrages kann auch strafrechtliche Konsequenzen, insbesondere wegen grob fahrlässiger Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen (§ 159 StGB) oder wegen betrügerischer Krida (§ 156 StGB) nach sich ziehen.
Empfehlung
Wir empfehlen Ihnen:
- laufende Überwachung der Eigenkapital- und Liquiditätssituation,
- rechtzeitige Einbindung von Steuerberater/Wirtschaftsprüfer,
- rechtliche Beratung durch Ihren Rechtsanwalt,
- Dokumentation aller getroffenen Maßnahmen,
- frühzeitige Abstimmung mit den Gesellschaftern über mögliche Sanierungsschritte.



